Kanzelrede am 02.11.20.25 in der Kirche Oberwambach

 

Lieber Joachim, ich danke dir von Herzen, dass du mir die Gelegenheit gibst, in diesem Rahmen einen Vortrag über den Konflikt als betroffener Palästinenser zu halten.

Der Titel der Kanzelrede hast du treffend vorgeschlagen „Der Konflikt im Heiligen Land“.

Da die Zeit knapp bemessen ist und man stundenlang über den Konflikt referieren kann, werde ich mich auf das Wesentliche konzentrieren.

 

Mein Name ist Bassam Mostafa, geboren in Ramallah in den besetzten Gebieten.

Seit 1969 bin ich in Deutschland, habe in Bonn Medizin studiert und in verschiedenen Krankenhäusern, darunter das Krankenhaus Altenkirchen gearbeitet. Ich habe 25 Jahre eine eigene Praxis in Altenkirchen geführt.

Seit 1991 wohne ich im schönsten Dorf im Westerwald, in Oberwambach. Ich war hier 10 Jahr im Gemeinderat.

Ich werde über einen Konflikt reden, der seit über 80 Jahren zwischen Juden und Palästinenser besteht. Tausende von Menschen auf beiden Seiten wurden während dieser Zeit getötet. Jedes Opfer ist eines zu viel. Es wurden viele Palästinenser verhaftet, gefoltert und misshandelt. Es kam zu mehreren Aufständen, Zerstörungen und Vertreibungen. Zuletzt der Überfall von Hamas am 07.10.2023 mit schmerzhaften Ereignissen. Danach seit über 3 Jahren die Zerstörung vom Gaza-Streifen mit Verhungern der Bevölkerung. Zur Zeit sind ca. 15.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen, darunter viele Frauen und Kinder, viele von Ihnen ohne Gerichtsverhandlung.

 

Zur Geschichtlichen Entwicklung

In den 1880er Jahren begann die jüdische Einwanderung nach Palästina. In Palästina lebten 1882 etwa 450.000 mehrheitlich Araber, sowie 15.000 Juden. Das widerlegt die Aussage von Frau Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Union „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“.

Zwischen 1882 und 1939 kamen 38.000 Juden, vor allem aus Europa und Russland. 1918 hatte Palästina etwa 700.000 Einwohner, davon 644.000 Palästinenser und 56.000 Juden.

 

Die jüdischen Siedler kauften Boden, trieben die landwirtschaftliche Erschließung mit finanzieller Unterstützung durch Spenden amerikanischer und europäischer Juden voran. Dadurch kam es zu Unruhen. Es kam zu einem palästinensischen Aufstand von 1936 bis 1939.

Von den ansässigen Arabern wurde das zionistische Projekt (Errichtung einer jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina) mit Misstrauen begegnet. Einer der Vorreiter dieser Idee war Theodor Herzel, der 1896 sein Manifest „Der Judenstaat“ veröffentlichte und 1897 die zionistische Weltorganisation mitbegründetete. Er verband die Absicht eine moderne, jüdische Gesellschaft zu errichten, mit der Rückkehr der Juden in das Land, aus dem sie nach der Zerstörung des 2. Tempels im Jahre 70 nach Christus durch die römischen Herrscher größtenteils vertrieben wurden.

Das Misstrauen der Palästinenser verwandelte sich in Ablehnung, als die jüdischen Siedler begannen neue Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Dazu gehörte, das von jüdischen Nationalfonds erworbenes Land für immer in den Besitz der Juden überging und nur an Juden verpachtet werden durfte und die Beschäftigung von Nicht-Juden als Arbeitskräfte verboten war.

In der Balfour-Erklärung von 1917 sicherte der britische Außenminister Arthur Balfour dem Zionisten Walter Rotschild die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu.

Das Ziel war, die Sympathie und Unterstützung der Juden in aller Welt für die Kriegsvorbereitung zu gewinnen und diese zu veranlassen Ihren Einfluss auf die Regierungen ihrer jeweiligen Länder zu einer Parteinahme für die Briten zu nutzen.

Vor Ort spitzten sich die Auseinandersetzungen zu, weil sich die Palästinenser zunehmend ihrer Existenzgrundlagen beraubt und durch die Eingewanderten bedroht sahen.

Durch die Verfolgung der Juden in Deutschland durch die Nazis kam es zu einer massiven Auswanderung der Juden nach Palästina. Infolgedessen kam es zu einer Vertreibung der Palästinenser. Ein desertierter israelischer Soldat äußerte einmal: „was uns angetan wurde, dürfen wir keinem anderen Volk antun“.

Im Mai 1947 wurde ein UNO-Sonderausschuss eingesetzt, um Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Der Ausschuss sprach sich mehrheitlich für die Teilung Palästinas in 2 Staaten aus. Dabei sollte der jüdische Staat gut 56 % des Gebiets umfassen und der palästinensische Staat etwa 43 %. Zu diesem Zeitpunkt betrug der jüdische Bevölkerungsanteil allerdings nur 30%, während der palästinensische auf ca. 70% kam. Zudem wurden dem jüdischen Staat auch Gebiete zugesprochen, in denen die palästinensische Bevölkerung in der Mehrheit war.

Dieser Teilungsplan wurde von der UNO-Generalversammlung am 29.11.1947 mit 33 zu 13 Stimmen und 10 Enthaltungen angenommen. Eine Offensive zionistischer Untergrundverbände führte im Jahr 1948 zur Eroberung und Entvölkerung der größten palästinensischen Zentren. Als besonders grausames Massaker an der Zivilbevölkerung ging der Angriff der zionistischen Gruppen, Irgon und Leschi auf den arabischen Ort Deier Jassin am 09.04.1948 in die Geschichte ein. Rund 100 Menschen wurden ermordet, Gefangene vergewaltigt und gefoltert. Bei einem Racheakt wenige Tage später wurden in Jerusalem 70 Juden ermordet.

Gewalt und Gegengewalt mit Zerstörung der Häuser verdächtiger Palästinenser war die Regel.

Bis zur Proklamation des Staates Israel 1948 ergriffen rund 300.000 Palästinenser aus Angst vor Misshandlung und Verhaftung die Flucht. Darunter meine Eltern und 4 meiner Geschwister. Sie lebten in dem Dorf Lifta, am Rande von Jerusalem und flüchteten nach Ramallah. Dort wurde ich 1951 geboren.

Durch Krieg von 1967 eroberte Israel das Westjordanland, den Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem. Es kam zu einer erneuten Flüchtlingswelle.

Nach UNO-Angaben flohen während der nur wenige Tage dauernden Kampfhandlungen ca. 350.000 Palästinenser. Viele von Ihnen bereits zum zweiten Mal. Darunter auch meine Familie. Wir flüchteten nach Amman in Jordanien. Über 400 palästinensische Dörfer wurden verlassen. Die meisten zerstört und unbewohnbar gemacht. Nach Beendigung der Kampfhandlungen 1967 verweigerte Israel 100.000den Geflüchteten die Rückkehr. Nach Monaten durch Vermittlung des internationalen roten Kreuzes durften wir wieder nach Ramallah zurückkehren.

Da die Schulen auch nach dem Krieg geschlossen waren, habe ich mit 16 Jahren, Ramallah endgültig verlassen, um mein Abitur zu machen. Ich zog zu meinem Onkel nach Jordanien.

Nach Beendigung des Krieges wurden die verbliebenen Palästinenser erfasst. Da ich bei dieser Erfassung nicht anwesend war, habe ich keinen israelischen Ausweis bekommen, mit der Folge das ich heimatlos und später fremd im eigenen Land wurde. Um meine Eltern in den Schulferien in den besetzten Gebieten zu besuchen, mussten Sie für mich eine Besuchererlaubnis bei der israelischen Besatzungsbehörde beantragen.

Die Schul- und Akademische Weiterbildung ist für Palästinenser ein hohes Gut. Zwei meiner Brüder sind auch Ärzte und zwei sind Ingenieure. Mein Vater war ein einfacher Taxifahrer, wir Brüder haben uns gegenseitig unterstützt.

 

Zur Siedlungspolitik

Nach Angaben israelischer Statistiken verblieben 1949 rund 150.000 palästinensische Bewohner in Israel. Sie wurden israelische Palästinenser genannt. Die meisten von Ihnen durften nicht in ihre Dörfer und Städte zurückkehren. Deren Besitz und der von geflohenen Palästinenser wurde enteignet und an den israelischen Staat übereignet. Auf diese Weise gingen die palästinensischen Ländereien in staatlichen Besitz über und standen für die Siedler zur Verfügung.

Die palästinensischen Bewohner wurden nicht als gleichberechtigte Staatsbürger, sondern als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Die Bewegungsfreiheit und die Bildung von Vereinen wurden durch die israelische Militärverwaltung eingeschränkt.

Nach 1967 wurden jüdische Siedlungen in den palästinensischen besetzten Gebieten errichtet, ohne Zustimmung der UNO und der Weltgemeinschaft.

Israel hat seit der Eroberung des Westjordanlands im 6-Tage Krieg 1967 seine umstrittenen Siedlungen systematisch ausgebaut. Die Zahl der Siedler beträgt zurzeit 700.000. Die Siedlungspolitik wurde von den EU-Staaten und der UNO nur verbal verurteilt. Taten wie Sanktionen wurden leider nicht verhängt. Dadurch ist eine 2-Staaten Lösung fast unmöglich.

Die israelischen Sicherheitsbehörden haben die palästinensischen Bewohner gegen Angriffe durch die extremistischen Siedler nicht geschützt. Es gibt bei Tötungsfällen kaum Strafverfolgung, Rückhalt haben die Siedler durch die rechtsextremen Minister in der Regierung, die sich für eine Annexion des Westjordanlands durch Israel einsetzen. Es gibt 40.000 Binnenflüchtlinge nach Vertreibung und Zerstörung ihres Eigentums. Es wurden bis jetzt ca. 270 Palästinenser getötet.

Die rechtsextremistischen Siedler bauten illegale Siedlungen in den besetzten Gebieten, das Land wurde in Enklaven zerstückelt. Von den Siedlern werden ständig Eigentum der Palästinenser in Brand gesetzt und zerstört, Einwohner verfolgt und getötet.

Die Haupteinnahmequelle vieler Einwohner ist das Olivenöl. Die Olivenhaine werden unter den Augen der israelischen Soldaten zerstört.

Durch den Mauerbau quer durch die palästinensischen Gebiete, ist die Erreichbarkeit der Ländereien, um die Oliven zu ernten sehr erschwert.

Das Westjordanland ist von über 1.000 Kontrollstellen durchsetzt. Dadurch ist die tägliche Beweglichkeit der Palästinenser stark eingeschränkt. Zeitweise werden Sie an den Kontrollstellen über Stunden ohne Handeln festgehalten.

Der frühere CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm hat im Jahr 2011 mehrere Reisen in den Gazastreifen und ins Westjordanland unternommen. In der Sendung „Hart aber Fair“ vom 30.11.2011 sagte er „Tägliche Willkür und Drangsalierung erträgt kein Mensch“. Er nannte ein Beispiel von der willkürlichen Behandlung eines verletzten palästinensischen Jungen, der stundenlang an einem Kontrollpunkt in Hebron festgehalten wurde und infolgedessen konnte man seinen Arm nicht mehr retten.

 

Das Video von dieser Sendung kann man bei YouTube unter „Norbert Blüm – Die Wahrheit über Israel und Palästina“ finden.

 

Es wurden zahlreiche Resolutionen der UNO-Vollversammlung, sowie des Sicherheitsrates verabschiedet, die allesamt von Israel missachtet wurden.

In dem Osloer-Abkommen von 1993 haben sich die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) und Israel gegenseitig anerkannt. Das nachfolgende Abkommen von 1994 sah eine 5-jährige Übergangsperiode vor, in der Israel nach und nach Zuständigkeiten an eine zu bildende palästinensische Autonomiebehörde übergeben sollte.

 

Zum 07.10.2023

Infolge der jahrelangen Repressalien wie Vertreibung, Verhaftungen, Misshandlung und Tötung von Palästinenser und Missachtung der Menschenrechte im Laufe der letzten 80 Jahren hat sich ein Gewalt- und Rachepotenzial entwickelt, was zu den traurigen Ereignissen am 07. Oktober 2023 durch HAMAS geführt hat.

Danach kam es zu einem erneuten Krieg, mit Zerstörung, Aushungern der Bewohner vom Gaza-Streifen mit 20.000 toten Kinder und 60.000 Einwohner des Gaza-Streifens, sowie tausender Verletzter und Zerstörung fast aller Krankenhäuser in dem Gebiet.

Die HAMAS wurde 1988 gegründet mit Hilfe und Unterstützung von Benjamin Netanjahu als Gegenpol zur Autonomiebehörde im Westjordanland. HAMAS wollte keinen Frieden mit Israel, im Gegensatz zur Autonomiebehörde. Netanjahu wollte auch keinen Frieden, sein Ziel war und ist die Schaffung von Groß-Israel.

– Siehe Buch

 

Zum Antisemitismus

Antisemitismus scheint dieser Tage wieder allgegenwärtig. Wobei das Phänomen weit älter ist als Hamas-Terror oder Holocaust. Es zieht sich seit der Antike wie ein Geschwür durch die Menschheitsgeschichte.

Die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA) vom März 2021 hat den Begriff des Antisemitismus neu definiert. Sie wirft der bisherigen Definition vor, den Unterschied zwischen antisemitischer Rede und legitimer Kritik an Israel und am Zionismus zu verwischen.

Ein Beispiel wie manche Juden und andere den Begriff Antisemitismus missbrauchen und die Meinung der Menschen beeinflussen. Der jüdischer Musiker Gil Ofraim wollte im Oktober 2021 in Leibzig in einem Hotel übernachten. Ihm soll angeblich die Übernachtung verweigert worden sein, weil er den Davidstern trägt. Er hat ein Video veröffentlicht, in dem er einem Hotelmitarbeiter vorwarf, sich antisemitisch geäußert zu haben. Daraufhin protestierten hunderte Menschen vor dem Hotel mit israelischen Fahnen. Der Hotelbesitzer hat die Aufnahmen der Überwachungskamera bei Gericht vorgelegt. Es hat sich als Lüge herausgestellt. Der Musiker musste sich entschuldigen und eine Geldstrafe zahlen.

Schlußwort

Meines Erachtens ist die Voraussetzung für den Frieden und die 2-Staaten Lösung. Dafür ist die Räumung von Siedlungen zwingend notwendig, um ein zusammenhängendes Gebiet für den zukünftigen palästinensischen Staat zu schaffen.

Netanjahu ist nicht bereit Frieden zu schließen, da er immer noch die Schaffung von Groß-Israel im Hinterkopf hat. Von einem Frieden sind wir weit entfernt, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.