Wert-voll: unbezahlbar oder unersetzlich?
Unersetzliche Geschichte? Kollektives Gedächtnis und regionale Geschichte
In diesem Jahr steht der Tag des offenen Denkmals unter dem Motto „wert-voll: unbezahlbar oder unersetzlich?“ Das spiegelt wider, wie wir über Denkmäler und ihre Erhaltung diskutieren. Und es weist auf
ein grundlegendes Problem hin: Wer entscheidet, welches Denkmal bewahrenswürdig ist? Schließlich ist Denkmalschutz teuer. Bei so vielen anderen Finanzlücken, die unbestreitbar existieren, ist der Erhalt von
Denkmälern scheinbare Nebensache.
Aber: Denkmäler sind viel mehr als nur Gebäude, Orte, Bäume (ja, es gibt auch Naturdenkmäler). Der Tag des offenen Denkmals lenkt jedes Jahr den Blick auf die Erinnerungen, die in Denkmälern stecken –
Erinnerungen an Menschen, an Ereignisse, an den Verlauf der Zeit. Diese Erinnerungen können in sehr vielfältiger Weise genutzt werden. Man kann sie als Fakten sehen: Das ist geschehen, darum haben wir hier
ein Denkmal. Man kann sie als Mahnmal sehen: So etwas – ein Krieg, ein Verbrechen – darf nie wieder geschehen.
Die Geschichte, die hinter den Denkmälern steckt, ist immer eine Deutung derjenigen, die sie erzählen.
Narrative können ersetzt werden, wenn man das möchte – so z.B. im Ägypten Ramses des Großen, wo eine Denkmalstele von einem großen Sieg gegen die Hethiter berichtet, während es in Wahrheit eine der größten Niederlagen des Pharaos war. Oder in den heutigen USA; wo Präsident Trump Museen dazu auffordert, in seinen Augen „unpatriotische“ Inhalte wie z.B. den Kampf gegen die Sklaverei nicht mehr zu zeigen. Geschichte ist also Deutungssache, Denkmäler sind Deutungssache. Und hier kommen wir zum eigentlichen Punkt: Was beeinflusst das kollektive Gedächtnis und welche Rolle spielt die regionale Geschichte dabei?
Unbestreitbar ist regionale Geschichte ein Randgebiet, das eher wenige Menschen interessiert. In Schulbüchern kann sie nicht vorkommen, ortsfremde Geschichtslehrer kennen sie zunächst einmal nicht. Aber
es gibt die Geschichtsvereine und ihre Publikationen, digital und analog. Es gibt die Gruppen in sozialen Medien, die sich mit Geschichte befassen. Es gibt die ganz persönlichen Bezüge zur Geschichte („in diesem
Haus wohnte Onkel Hans“, oder die Geschichten über Originale aus früheren Zeiten).
Was aber, wenn Regionalgeschichte langsam übernommen wird von deutlich rechten Narrativen? Wenn die Erinnerungsorte in ihrer Bedeutung eingeengt werden – z.B. Kriegerdenkmäler rein auf die Verherrlichung von angeblichen Heldentaten reduziert werden, obwohl sie sehr deutlich immer mit der Intention des Mahnens errichtet wurden? Wenn Geschichte umgedeutet wird, der Nationalsozialismus verharmlost wird, Zitate von Nazi-Größen ganz selbstverständlich öffentlich genutzt werden? Das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft ist nicht fix, es wird immer wieder neu im öffentlichen Diskurs verhandelt und verändert. Rücken nun Geschichte und Erinnerung nach rechts?
Ja, das ist durchaus möglich. Eine Unterwanderung von Vereinen durch rechte Bewegungen wie die „Reichsbürger“ ist bereits deutlich sichtbar. Rechte Esoterik findet eine immer breitere Anhängerschaft – auch
hier im Kreis Altenkirchen. Der Begriff der „Heimat“ ist schon lange umstritten wegen des Missbrauchs des Begriffs in der rechtsextremen Szene. Sensibler Umgang mit historischen Themen ist daher notwendig, um das Gebiet der Regionalgeschichte nicht denen zu überlassen, die eine ganz andere Intention als ein faktenbasiertes Erinnern haben.
Vor einem Jahr feierte Almersbach sein 825jähriges Jubiläum – wenn man von der urkundlichen Ersterwähnung ausgeht, versteht sich. Das gehört zu unserem ganz eigenen, an das Dorf gebundenen
kulturellen Gedächtnis. Die Jahreszahl kommt aus der Erwähnung der Kirche in einer 1199 im Cassius-Stift in Bonn ausgestellten Urkunde. In dieser wird Almersbach ausdrücklich erwähnt. Man kann wie Hellmuth
Gensicke vermuten, dass bereits 60 Jahre vorher, in der Ersterwähnungsurkunde für Altenkirchen, mit einer der „Kapellen“, die zu Altenkirchen gehörten, auch Almersbach gemeint sein kann. Das wissen wir aber nicht, also zählt es nicht. Dass unsere Kirche in jedem Fall in das 12. Jahrhundert datiert werden kann, dafür sprechen Baustil und Malereien. Das sind die Fakten, an die wir uns halten können.
Es gibt aber auch die Erzählungen und Sagen, die ebenfalls zum regionalen Narrativ Almersbachs gehören, wie die Geheimgänge aus der Kirche ins Dorf, die Vorstellung, dass der Kirchhügel ein heidnischer heiliger Ort war, oder das angebliche Kloster. Nichts davon konnte bisher einwandfrei bewiesen werden (manches lässt sich auch kaum beweisen, wie der „heidnische“ Kultplatz – mal abgesehen davon, wer sind denn bitte schön diese „Heiden“?), aber wird weitererzählt. Manches könnte über Archäologie bestätigt oder widerlegt werden – da sind wir wieder bei der Frage des Geldes. Manche Frage würde ich auch gerne ganz persönlich lösen, wie die der Identität der beiden vor dem Altar begrabenen Toten aus dem 17. Jahrhundert, eine Frau und ein Mädchen… Solche offenen Fragen bieten Verschwörungserzählungen breiten Raum. In der rechten Gedankenwelt spielten schon immer sogenannte „heidnische“ Wurzeln eine große Rolle, kulminierend sicher in den Suchen Heinrich Himmlers nach den „germanischen“ Ursprüngen der Deutschen. Vermeintliche alte Kultplätze „der Germanen“ (die es als solche kollektive Einheit gar nicht gab) ziehen daher auch rechte Esoteriker an. Müssen diese Sagen daher verboten werden? Nein. Aber man muss sie mit Vorsicht behandeln und zuerst die Fakten heranziehen, ehe man sich mit ihnen beschäftigt.
Schauen wir uns die weitere Entwicklung Almersbachs an. Während die Pfarrei Almersbach kirchlich zum Cassius-Stift Bonn und damit zum Erzbistum Köln gehörte, gehörte sie politisch zunächst in das Gebiet des
Engersgaus und später dann in die Grafschaft Wied.
Als Grenzort zur benachbarten Grafschaft Sayn, zu der Altenkirchen gehörte, war Almersbach durchaus nicht unwichtig. Es wird auch bereits im 14. Jahrhundert ein Gerichtsplatz in Almersbach erwähnt. Die schöne alte Linde, die gefällt werden musste, war der Sage nach der Ort des Gerichts. Wir wissen leider nicht viel über das Gericht hier. Was klar ist, ist, dass das Gericht nicht nur für Strafsachen da war, sondern auch für das, was wir heute notarielle Dienste nennen würden.
Und hier wird es spannend: Dorfgerichte mit ihren oft mythisch umgedeuteten Bäumen (Gerichtslinde) werden gerne als „Kraftorte“ von rechten Esoterikern umgedeutet. Sollte ich es also gar nicht erwähnen, dass es ein Gericht hier gab? Doch, natürlich – nur eben als durch Quellen belegten Fakt und nicht als Märchen.
Neben Gerichtsorten waren für die Sicherung der Herrschaft seit dem 12. Jahrhundert mehr und mehr auch Befestigungen wichtig. Damit sind nicht nur Burgen gemeint, sondern auch befestigte Orte, oder, in anderen Worten, Städte. Almersbach, mit der Lage an der Wied (und der Furt über die Wied), mit dem Jakobsweg, der an der Kirche vorbeigeht, mit der Position direkt beim saynischen Altenkirchen, das 1314 die Stadtrechte erhalten hatte, bot sich für die Grafen von Wied als neue Stadt an. 1357 war es dann so weit: Almersbach erhielt von Kaiser Karl IV. die Rechte, eine Befestigung zu bauen und einen Markt abzuhalten. Diese Rechte wurden nie umgesetzt.
Warum das so war? Gute Frage. Es könnte mit der notorischen Geldnot der Wieder zusammenhängen. Immer wieder mussten die Grafen zu Wied Teile ihres Besitzes verpfänden, um Geld zu besorgen. Das traf auch Almersbach mehrfach. Wilhelm von Wied verpfändete Mitte des 15. Jahrhunderts die Kirchspiele Schöneberg, Almersbach und Höchstenbach an Gerhard von Sayn. Erst dreißig Jahre später wurden sie von Friedrich von Wied wieder ausgelöst und kamen wieder unter die wiedische Herrschaft. Für die Einwohner änderte sich dadurch wenig – ob man nun die Abgaben an die Grafen von Wied oder die Grafen von Sayn zahlte, war ihnen herzlich egal.
Abgrenzungen gab es schon immer, meist eher mit dem Gedanken des Schutzes vor Angriffen durch andere Landesherren, die ihr Territorium erweitern wollten. Neue Einwohner wurden aber herzlich gerne
aufgenommen, denn diese zahlten neue Steuern und konnten durch ihr Gewerbe die Wirtschaft eines Territoriums nach vorne bringen. Bestes Beispiel dafür sind die Porzellanmanufakturen in Sachsen und
Preußen, die nur durch die aus Frankreich vor der religiösen Verfolgung geflohenen Hugenotten entstanden.
Migration ist historisch gesehen äußerst positiv und ein echter Fortschrittsmotor.
Die Grafen von Sayn fanden schließlich Gefallen an Almersbach, und zwar vor allem, um die Gegenstadt zu Altenkirchen zu verhindern (denn, nicht vergessen: die Stadtrechte waren ja verliehen, und der Bau von
Mauern konnte jederzeit begonnen werden und ein Konkurrenzmarkt zu Altenkirchen entstehen). Als 1488 Johanetta von Wied den Grafen Gerhard III. von Sayn heiratete, erhielt sie als Heiratsmitgift und Wittum (also den Besitz, der ihr als Witwe das Einkommen sicher sollte, falls ihr Mann vor ihr sterben sollte) unter anderem Almersbach. Und das war es dann mit der Stadt: Almersbach gehörte zu Sayn, und natürlich errichteten die Sayner keine Konkurrenz zur Residenzstadt Altenkirchen in unmittelbarer Nähe.
Mit der Reformation endete die kirchliche Zuständigkeit des Cassius-Stifts für die Almersbacher Kirche. 1560 führte Graf Adolf von Sayn die lutherische Lehre ein. Das bedeutete, dass auf einmal per gräflichem Beschluss alle Einwohner der Grafschaft Sayn Lutheraner waren. 1605 wechselte Graf Heinrich von Sayn zur reformierten Lehre – und mit ihm auch alle saynischen Untertanen.
Die Auswirkungen der religiösen und politischen Umbrüche der Frühen Neuzeit zeigen sich besonders verheerend im Dreißigjährigen Krieg, der zwischen 1618 und 1648 unzählige Menschenleben auf den
Schlachtfeldern, aber auch durch Hunger und Seuchen forderte. Auch die Grafschaft Sayn blieb davon nicht verschont. Tatsächlich kam es hier zu einigen „Nebenschlachten“ um die Erbfolge in der Grafschaft. Was war geschehen? 1623 war Graf Wilhelm III. von Sayn gestorben. Almersbach wurde von seinem Sohn und Nachfolger Ernst seiner Stiefmutter Anna Ottilia von Nassau-Saarbrücken als Wittum überlassen. So weit, so gut – alles schien trotz des Krieges problemlos zu laufen. Aber Ernst starb bereits 1632. Sein kleiner Sohn
Ludwig war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal drei Jahre alt. Nominell fiel die Grafschaft an das Kleinkind, für das aber seine Mutter, Luise Juliane von Erbach, die Regentschaft übernahm.
Und jetzt beginnen die Probleme, denn wenn etwas für die Herren der Frühen Neuzeit und auch so manche
moderne Herren wirklich fürchterlich war und ist, dann mächtige Frauen. Dabei gab es europaweit leuchtende
Beispiele für kluge und politisch geschickt agierende Herrscherinnen, man denke nur an Elizabeth I. von
England. Als Regentin für ihren Sohn wurde Luise noch akzeptiert. Ludwig starb aber im Pestjahr 1636, und
Luises andere Kinder waren… Mädchen. Sie können sich denken, was jetzt folgt. Genau: Es kann natürlich
gar nicht sein, dass Sayn an zwei Mädchen fallen könnte! Es muss doch irgendwo ein männlicher Erbe sein.
Und diese Denkmuster kommen nicht aus der Mode. Misogynie ist immer wieder Teil des gesellschaftlichen
Diskurses. Auch hier knüpfen die rechten Narrative an.
Für unseren Fall war es aber die Denkweise der Frühen Neuzeit, die für politische Probleme sorgte. Denn
Ernsts Stiefmutter hatte ja Almersbach erhalten als Witwensitz. Und diese Dame hatte drei Söhne aus ihrer
Ehe mit Wilhelm von Sayn. Die Stiefonkel des verstorbenen Kind-Grafen beeilten sich, Ansprüche auf die
Herrschaft geltend zu machen. In Altenkirchen zog Christian ein, der das Schloss bis in die 1660er Jahre in
seiner Hand behielt.
Luise aber ließ nicht zu, dass die Stiefbrüder ihres verstorbenen Mannes ihren Töchtern die Grafschaft
entrissen. Mit allen Mitteln (militärisch unterstützt von Schweden, juristisch brillant vertreten sowohl am
kaiserlichen Hof als auch später bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück) kämpfte sie
darum, dass Johanetta und Ernestine das Erbe ihres Vaters antreten konnten.
Wider allen Erwartungen gewann Luise die Auseinandersetzung. Zugegebenermaßen, ihr Schwager Christian
zierte sich ziemlich, bis er endlich aus Schloss Altenkirchen auszog – aber insgesamt war es ein Triumph auf
ganzer Linie. 1652 wurde daher die Grafschaft Sayn geteilt zwischen den Schwestern Johanetta (Sayn-
Altenkirchen) und Ernestine (Sayn-Hachenburg). Almersbach verblieb zunächst bei der Gräfinwitwe Luise
als Teil ihres Wittums. Nach Luises Tod wurden auch die dem Wittum zugehörigen Teile der Grafschaft
zwischen Sayn-Altenkirchen und Sayn-Hachenburg aufgeteilt. Almersbach wurde Sayn-Altenkirchen
zugeschlagen. Johanetta hatte inzwischen Herzog Johann Georg von Sachsen-Eisenach geheiratet. Die beiden
verbrachten wenig Zeit im Westerwald, da die Kernlande des Herzogs rund um Eisenach lagen.
Für Almersbach politisch zuständig blieben sie dennoch, und die Beamten aus Altenkirchen versahen auch
den Dienst in den zur Grafschaft gehörenden Orten.
Was die Kirche anging, so waren auch hier der Dreißigjährige Krieg sowie die Unsicherheit der Nachfolge
des kleinen Ludwig von Sayn zu spüren, denn von 1636 bis 1665 blieb die Pfarrstelle unbesetzt und wurde
von Schöneberg aus mitverwaltet. Eigentlich war Almersbach als reformierte Pfarrei eingetragen. 1665 kommt
aber ein Lutheraner als neuer Pfarrer. Sie können sich denken, dass das nicht unwidersprochen hingenommen
wurde. Die Reformierten erhielten das Versprechen, dass nach diesem Amtsinhaber eine Neubesetzung mit
einem Reformierten erfolgen sollte. Das geschah aber nicht, stattdessen kommt mit Johann Anton Reusch
wieder ein Lutheraner. Der arme Kerl erfuhr dann, was seine empörte Gemeinde tun konnte, um ihm das
Leben schwer zu machen. Wir wissen von mindestens drei Gelegenheiten, zu denen ihm einfach die
Kirchentür verschlossen wurde und er den Gottesdienst draußen abhalten musste. 1669 beschloss Gräfin
Johanetta, dass die Almersbacher Kirche Gemeindekirche für beide Gemeinden sein sollte. Das beendete erst
einmal die Streitigkeiten.
Da die Lutheraner, die in Almersbach ihren Dienst verrichteten, gleichzeitig auch zweite Prediger in
Altenkirchen waren, mussten sie auch die Filialdörfer beider Pfarreien besuchen. 1688 kam es dabei zu einem
tragischen Unglück, als der ehemalige Hofprediger Luises, Johann Dumphius, auf dem Rückweg von einem
dieser Besuche in der Wied ertrank. Man munkelte, es könnte etwas mit Alkohol zu tun gehabt haben…
Wie groß Almersbach war, lässt sich nur schwer sagen. Aus erhaltenen Listen lassen sich 9 Häuser Ende des
16. Jahrhunderts ablesen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg ist nur noch ein Haus aufgeführt. Mitte des 18.
Jahrhunderts sollen es 5 gewesen sein. Wir sprechen also von einem kleinen Dorf (das immer noch in der
Theorie Stadtrechte besitzt), in dem wenige Menschen wohnen. Arbeit aber gab es nicht nur in der
Landwirtschaft. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts gab es eine Ölmühle am Almersbach.
Eine lustige Anekdote zur politischen Zugehörigkeit ergab sich im 18. Jahrhundert: Über diverse Heiraten war
die Grafschaft Sayn-Altenkirchen an das Haus Brandenburg-Ansbach gekommen. Dessen letzter Erbe,
Christian Friedrich Karl Alexander, hatte eine englische Geliebte, die er unbedingt heiraten wollte. Mit den
deutschen Besitztümern wollte und konnte er nichts anfangen. Er übertrug daher Sayn-Altenkirchen an das
Königreich England, und der englische Amtmann Ompteda kam auch in den Westerwald, um die Amtseide
der Beamten entgegenzunehmen. Wir waren also mal kurzfristig englisch – God save the King! Allerdings
kam es nie zur Herrschaftsübernahme in Gänze. Sayn-Altenkirchen wurde 1791 an Preußen übergeben und
fiel mit dem Wiener Kongress 1815 endgültig an das Königreich Preußen. Zu diesem Zeitpunkt wohnen im
Kirchspiel Almersbach ungefähr 1000 Menschen und es gibt fünf Presbyter.
Politisch war insbesondere die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, also die Zeit der Weimarer Republik,
spannend. In Almersbach wohnten viele Arbeiter, daher gewann die SPD die meisten Wahlen haushoch – das
galt auch noch bis 1932, und nach 1945 setzte sich das Muster fort, bis zur Wahl 2024, in der
demokratiefeindliche Mehrheiten entstanden mit einer hohen Zahl an Wählern der vom verfassungsschutz als
gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD. Bei der 1925 durchgeführten Volks-, Berufs- und
Betriebszählung wurden in Almersbach 40 Wohnhäuser für 53 Haushaltungen, 142 Männer, 139 Frauen, 4
land- und forstwirtschaftliche Betriebe (Hassel, Jagenberg, Röder, Schneider) sowie 6 gewerbliche Betriebe
(Papierfabrik Jagenberg, Gaststätten Sinner und Braun, Schmiede Danscheid, Elektrogeschäft Schmidt und
Anstreicher Schlabbach) gezählt.
1933 war es dann zum ersten Mal aus mit der Demokratie. Man musste aufpassen, was man sagte. Mein
Uropa, Heinrich Wagner, Vorarbeiter in der Papierfabrik, handelte sich mehrfach Strafgelder ein, indem er
lautstark seine Ablehnung gegenüber den Nazis verkündete: „Die Nazis sind alle Arschlöcher!“, ein Satz, der
bis heute gilt. Er konnte noch froh sein, dass es nur bei der mehrfach fälligen astronomisch hohen Summe von
50 Reichsmark geblieben war. So mancher Sozialdemokrat wurde schließlich in ein Konzentrationslager
gebracht.
1945, als die französische Militärregierung Almersbach übernahm, wurde Opa Heiner zum Bürgermeister
ernannt. Warum? Weil er nachweislich und glasklar nie mit der NSDAP zusammengearbeitet hatte und
aufrechter Demokrat geblieben war. Er wurde mehrfach wiedergewählt und blieb bis Dezember 1952
Bürgermeister von Almersbach.
1950 gab es schon deutlich mehr Betriebe in Almersbach: Tankstelle Dielmann, Papierfabrik, Gaststätten
Schneider und Braun, Schmiede Danscheid, Elektrogeschäft Schmidt, Kolonialwarenhandlungen Schneider,
Schüchen, Bläsing, Metzgerei-Filiale bei Brauns und den Anstreicher Schlabbach.
Was gibt es noch zu berichten? Eines der älteren Gebäude im Dorf ist unsere alte Schule. Die Schule in
Almersbach sollte seit der Einführung der Reformation bestehen, denn laut gräflicher Verordnung sollte jedes
Kirchspiel eine Schule, zunächst nur für Jungen, einrichten. Der Unterricht fand aber nicht in einem
Schulgebäude, sondern reihum in den Stuben der Wohnhäuser des Kirchspiels statt. Mit dem Übergang nach
Preußen wurden die Kirchspielsschulen aufgelöst und zwei Bezirksschulen, eine in Gieleroth und eine in
Fluterschen, eingerichtet. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Fluterschen so viele Schüler, dass auch in
Almersbach und Stürzelbach Schulen eingerichtet wurden. 1893 begann der Bau des Schulhauses in
Almersbach und bereits ein Jahr später wurde die neue Schule, die im ersten Jahr von 22 Jungen und 20
Mädchen besucht wurde, eröffnet. Unterbrochen wurden die Unterrichtszeiten durch den Ersten Weltkrieg
1914 bis 1918, als die Kinder vom Unterricht befreit waren, um in der Landwirtschaft zu helfen. Die Lehrer
wurden schnell auch eingezogen – Lehrer Reinhard fiel bereits im August 1914, kurz nach Ausbruch des
Krieges. Als der Krieg 1918 zu Ende war, wurde der Schulsaal zur Einquartierung von Truppen von der
Westfront benötigt. Aber ab Dezember 1918 fand wieder regulärer Unterricht statt.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde der Schulsaal wieder für die Einquartierung
durchziehender Truppen genutzt. Mangel an Heizmaterial, Luftangriffe, fehlendes Lehrpersonal und widriges
Wetter führten immer wieder zum Ausfall des Unterrichts.
Nach dem Kriegsende 1945 fand zunächst der Unterricht des Gymnasiums, das in den Angriffen auf
Altenkirchen zerstört worden war, in Almersbach statt. Erst zwei Jahre später konnte auch der
Dorfschulunterricht in Almersbach wieder normal laufen, da die gymnasialen Klassen wieder in Altenkirchen
lernen konnten. Da aber immer mehr Kinder die weiterführenden Schulen in Altenkirchen besuchten, wurden
nach und nach die Dorfschulen geschlossen und die Kinder an zentralen Grundschulen eingeschult. 1974
wurde auch die Schule in Fluterschen, in die die Almersbacher Kinder gingen, aufgelöst.
Die Schulchroniken zeigen dabei sehr deutlich, wie sich die Deutung von Geschichte je nach den
Herrschaftsverhältnissen änderte. Wurden ab 1871 Kaisers Geburtstag und die Jahrestage der Schlachten der
Reichseinigungskriege gefeiert, Kaiserlinden und Bismarck-Eichen gepflanzt, galt ab 1933 der Geburtstag
Hitlers als Feiertag und wurde von Schülern und Lehrern mit Feierlichkeiten begangen. Erst nach 1945 hörte
diese personenbezogene Verehrung auf.
Industrie und Technik fanden nach und nach ihren Einzug in Almersbach. Bis in die 1940er Jahre stand noch
der uralte Backes im Unterdorf, der dann aber abgerissen wurde. Wasserleitungen gab es schon vor dem 20.
Jahrhundert, wenn auch erst einmal vorrangig für die Schule, das Pfarrhaus und natürlich das Haus Jagenberg.
Ab 1968 war Almersbach dann an die Wasserversorgung des Abwasserzweckverbands (Stadt Altenkirchen,
Almersbach, Fluterschen, Michelbach, Mammelzen, Helmenzen und Dieperzen) angeschlossen.
Seit 1922 gab es in Almersbach elektrisches Licht, auch drei Jahre später im Schulsaal. Warum so spät? Nun
ja, man war sich sicher, dass Lampen in der Schule unnötig sind.
Und natürlich haben wir die Fabrik, den „Hammer“. Der alte Spitzname verweist darauf, dass an der Stelle
der Papierfabrik zunächst ein Hammerwerk war. Hier wurde Eisen produziert. 1820 wurde das Hammerwerk
verkauft und der neue Besitzer schloss das Werk und errichtete eine Papiermühle. Schon wenig später
verkaufte er die Mühle an den Meister der jagenbergischen Papiermühle in Solingen, der dann seine alten
Arbeitgeber einlud, sich die neue Mühle anzusehen. Und die Familie Jagenberg kam. Da Ferdinand Jagenberg
ein passionierter Jäger war, fand er Gefallen an der Gegend. 1838 erwarb Jagenberg die Papiermühle. Ende
des 19. Jahrhunderts, als die Papierfabrik schon expandierte, erhielt sie auch Anschluss an das Gleisnetz. Die
Fabrik (und natürlich auch die Papierherstellung an sich) entwickelte sich immer weiter. Bis heute werden
Spezialpapiere in Almersbach produziert, die u.a. in der Möbelproduktion und der Automobilindustrie
eingesetzt werden.
Das sind die Fakten, die aus Quellen nachgewiesen sind. Das macht die regionale Geschichte unseres Dorfes
aus. Und diese Fakten sollten wir immer als Grundlage der Beschäftigung mit Geschichte, sei es auf der großen
Ebene oder im kleinen regionalen Bereich, nutzen. Dann, und nur dann, wenn wir hinterfragen, überprüfen,
forschen und stets Neues entdecken, ist Geschichte weniger den Verschwörungserzählungen derer ausgesetzt,
die sich ihrer bedienen, um ihre eigenen Narrative zu verbreiten. Lassen wir nicht denen die Deutung des
Begriffs „Heimat“ und des regionalen historischen Narrativs, die damit die bestehende Demokratie abschaffen
wollen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.