Mein (Glaubens-)Weg

Kanzelrede Kathrin Kaiser, Ev. Kirche Oberwambach, 11.05.2025

Zunächst einmal einen wunderschönen Guten Morgen auch von mir an alle Anwesenden, Joachim, die ehemaligen und aktuellen Ortsbürgermeister der umliegenden Dörfer, alle Wannmier und Nicht-Wannmier.

Auch möchte ich Dir, Joachim und allen Beteiligten aus der Kirchengemeinde, ein ganz herzliches Danke sagen für die Einladung hier in die „gute Stube“ und das Herz Oberwambachs – es ist mir wirklich eine Ehre, im heutigen Gottesdienst die Kanzelrede halten zu dürfen.

Ich möchte heute von meiner persönlichen Erfahrung mit Glauben und Gott berichten – etwas, das mich segensreich von Kinderbeinen an begleitete, bis vor knapp 10 Jahren eine tiefe Krise und ein ganz großes Zweifeln dieses segensreiche Band erschütterte.

Ob es nach dieser großen Glaubenskrise ein Happy End gab, das verrate ich noch nicht – im Deutschunterricht habe ich mal gelernt, dass das den Spannungsbogen einer Geschichte aufrechterhält.

Die Grundzüge meines christlichen Glaubens formten sich nach meiner Erinnerung im Grundschulalter. Ich verbrachte viel Zeit auf dem Bauernhof meines Großvaters in meinem Heimatdorf Elkenroth – bei meinem Opa Hans, der vor knapp zwei Wochen leider verstarb und eine große Lücke in unserer Familie hinterließ.
Meine Tante, die dort auch lebte, gab mir den katholischen Glauben, der einen Großteil der Familie immer getragen hatte, mit, indem sie mir beispielsweise über ihre Auffassung des Lebens nach dem Tod erzählte, wir regelmäßig das Grab meiner Oma Agnes besuchten, oft auf dem Heimweg eine Kerze in der liebevoll „Kapellchen“ genannten Marien-Kapelle an der Elkenrother Kirche entzündeten und dort auch beteten.
Das Konzept vom „Lieben Gott“, das ich daraus mitnahm, hatte für mich zeitlebens etwas Tröstliches, Gnädiges und Friedliches.
Dank meiner Grundschullehrerin Frau Lück und meinen Religionslehrern der weiterführenden Schule habe ich mich mit vielen Bibelgeschichten auseinandersetzen dürfen und mit zunehmendem Alter zog ich mehr und mehr Lehren aus den Geschichten und Gleichnissen, mit denen wir uns dort beschäftigten.

In der „Sturm und Drang“-Phase meines Lebens verließ mich mein Glaube nicht, aber er rückte doch etwas in den Hintergrund – es verwundert vielleicht nicht, dass die Gedanken einer Oberstufenschülerin, Studentin und Referendarin sich nicht groß um Gott, sondern eher um weltliche Themen drehten…

Mit zunehmendem Alter – und vielleicht auch zunehmender Vernunft – merkte ich jedoch wieder, dass meine „katholische Kinderwiege“ mir vieles an Halt, Moralvorstellungen und Tröstlichem mit auf den Weg gegeben hatte.

Bis, ja bis zum Jahr 2016…

Im Frühjahr verstarb plötzlich die Mutter meiner besten Freundin aus Kindertagen. Nachdem sie eigentlich in Hoffnung lebte, ihre Brustkrebs-Erkrankung überstanden zu haben, flammte diese wieder auf und machte innerhalb kürzester Zeit den Körper dieser Anfang 50-jährigen Frau so krank, dass es keine Hoffnung mehr gab. Eine Frau, die so viel gekämpft hatte in ihrem Leben. Eine Frau, die ich immer als absolut großherzig erlebt hatte. Eine Frau im Alter meiner Mutter. Wie konnte Gott so etwas nur zulassen?!

Der zweite Schlag kam dann im Mai 2016, als mein Großcousin einen Monat vor seinem 22. Geburtstag plötzlich und völlig unerwartet an einem Hirnaneurysma verstarb. Wir waren in der gleichen Nachbarschaft großgeworden und ich hatte ihn immer als einen absolut liebenswerten Menschen erlebt – einer „zu gut für diese Welt“, wie meine Oma Lilo oft sagt. Wie konnte Gott so etwas zulassen?! Gerade vor dem Hintergrund, dass die Familie 30 Jahre vorher bereits eine Tochter am plötzlichen Kindstod verloren hatte…

Ich war in meinem Glauben tief erschüttert, meine Gedanken kreisten verständnislos, ich verstand Gott und die Welt nicht mehr… suchte händeringend nach einer Möglichkeit, Gott näher zu kommen, um Antworten zu erhalten.
Nachdem ich in den Jahren zuvor mit meinem Opa Hans viele Wallfahrtsorte besucht hatte, wie etwa Kevelaer, Banneux, Bornhofen, Schönstatt, Limburg und Köln, war mir die Idee des Pilgerns nicht fremd und so entschied ich mich zu einer Pilgerwanderung – 230 Kilometer per pedes auf dem Portugiesischen Jakobsweg, dem „Caminho Português“ von Porto in Portugal nach Santiago de Compostela in Spanien.

Nach einer kurzen Vorbereitungsphase machte ich mich Ende Juli 2016 auf den Weg von Hachenburg aus, mein Kettchen mit Kreuzanhänger, das ich zur Kommunion bekommen hatte um den Hals, den Pilgersegen des Hachenburger Pfarrers Roth in der Tasche und den großen Pilgerrucksack samt obligatorischer Jakobsmuschel auf dem Rücken, ging meine Reise los.

Nach einigen Tagen in Porto startete ich meine Pilgerwanderung. Das Smartphone hatte ich bewusst zu Hause gelassen, ich wollte so gut es geht „bei mir sein“ auf diesem Weg, ohne Störquellen. Auch beim Navigieren wollte ich mich komplett auf die Wegemarkierungen – die stilisierte gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund – verlassen und hatte nur für den Notfall Pilgerbüchlein mit Weganweisungen in der Tasche.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich nicht vorher alles bis aufs Kleinste mit Netz und doppeltem Boden geplant und abgesichert. Ich gab bewusst die mir sonst so wichtige vermeintliche Kontrolle ab und vertraute darauf, dass alles einfach gut gehen würde, wenn ich nur einfach mal loslassen und mich im Vertrauen, vielleicht im Gottvertrauen, üben würde.

Am Ende des ersten Pilgertages, nach 33 Kilometern Fußmarsch in der portugiesischen Sommersonne, schrieb ich abends in mein Pilgertagebuch:

„Lektion des Tages: Auch wenn es höllisch wehtut, es geht immer weiter…“ – hier bezog sich der Schmerz tatsächlich auf körperliche Schmerzen, aber vielleicht lässt sich dies auch auf das tägliche Leben übertragen: egal, wie sehr ein Verlust, eine Enttäuschung oder Ähnliches schmerzt, es geht immer weiter… „The show must go on“ sang mal ein außergewöhnlicher Rockmusiker.

Auf den weiteren 13 Pilgertagen lernte ich wunderbare Menschen aus aller Herren Länder kennen und erlebte viele außergewöhnlich schöne Momente, sodass ich bei meinen allabendlichen Einträgen ins Pilgertagebuch auch täglich einen „Schatzkästchen-Moment des Tages“ festhielt zusammen mit einer „Lektion des Tages“.
Bei der Vorbereitung auf diese Kanzelrede habe ich mein Pilgertagebuch von damals noch einmal durchgelesen. Die „Lektion des Tages“ war ganz oft das Gefühl, dass ein Vertrauen darauf, dass alles am Ende gut wird, unglaublich entlastend ist – insbesondere für einen „Kontrollfreak“ wie mich
– und dass dieses Vertrauen erst die Bahn ebnet für wunderbare Momente des Glücks.

Absolute „Glückstreffer“ waren auch die Menschen, die ich durch Zufall auf dem Caminho Português traf! Hier möchte ich beispielsweise einige nennen:

– Zunächst Marianne aus Kopenhagen und Marco aus Neapel, beide wie ich Jahrgang 1987, Studenten der Nanotechnik und Computerwissenschaft, die mir während des Weges immer wieder ganz wertvolle Begleiter waren, wenn mental oder körperlich ein Tiefpunkt erreicht war

– Dann Susannah aus Melbourne in Australien, eine ältere Dame, die nach jahrzehntelanger leidenschaftlicher Arbeit als Kinderkrankenschwester und Ausbilderin in der Kinderkrankenpflege ihre Rentenjahre mit dem Bereisen der Welt und liebend gerne auch mit ausgedehnten, mehrtägigen Wandertouren verbrachte und die vor Energie, Elan und Positivität nur so sprühte

– Fernanda und Jaquinto, die auf ihrem privaten Anwesen mitten im Nirgendwo in Portugal mit ganz viel Herzblut eine Pilgerherberge betrieben und die während der Saison jeden Abend und jeden Morgen die lange Tafel in ihrem Esszimmer reich deckten für „ihre Pilger“, inklusive einer bühnenreifen Sangeseinlage. Am Abend, den ich dort verbringen durfte, saßen wir mit 18 „Peregrinos“, also Pilgern, aus 8 verschiedenen Nationen mit 6 verschiedenen Muttersprachen an einem großen Tisch und verbrachten wundervolle und mit viel Lachen gefüllte Stunden

– Außerdem der Japaner Hata Seichi, ein älterer Mann, der kaum sprach, aber trotzdem immer eine nette Gesellschaft war, der eine Aura von Ruhe ausstrahlte und der während seiner Laufpausen seine Zeit mit dem Falten von kleinen Papierkranichen und anderen Tieren verbrachte, die er dann an begeisterte Kinder verschenkte

– Schließlich Barbara und Markus, zwei liebe Schwaben vom Kaiserstuhl mit denen ich einen ganz besonderen Aufenthalt in einer Pilgerherberge in einem ehemaligen Kloster teilte und die ich kurz nach meiner Ankunft in Santiago wiedertraf. Markus, ein gläubiger Katholik, erzählte mir von den Schicksalsschlägen in seiner Familie und ich fühlte, dass ihm sein Glaube eine große Stütze war, die ihn trotzdem vertrauensvoll in die Zukunft blicken und immer weitermachen ließ

Alle diese Begegnungen, die gemeinsamen Erlebnisse und tollen Gespräche waren unheimlich bereichernd – nie zuvor war ich in so kurzer Zeit mit so vielen verschiedenen Charakteren, Lebensmodellen und Moralvorstellungen konfrontiert gewesen. Selten zuvor hatte ich so intensiv „über den Tellerrand“ geschaut, als während des Abenteuers Jakobsweg.

Was blieb war große Dankbarkeit für all das und, in den letzten Tagen meiner Pilgerreise, eine regelrechte Angst vor dem Ende ebenjener. Ich hatte größten Respekt davor, zurück ins normale Leben zu gehen, nachdem während des Caminho alles so wunderbar unbeschwert und trotz aller mentaler und körperlicher Hürden doch im Endeffekt absolut gut gelaufen war.

Am Ankunftstag in Santiago saß ich abends in der „Capilla do Pilar“, einer kleinen Kapelle in der riesigen Kathedrale von Santiago de Compostela, und „heulte Rotz und Wasser“, wie man hier im Westerwald so schön zu sagen pflegt – ich weinte, weil ich einerseits wirklich Respekt hatte vor der Rückkehr in den Alltag und andererseits, weil ich total unsicher war, ob mir der Jakobsweg tatsächlich Antworten geliefert hatte auf die dringende Frage danach, warum Gott Schlimmes zulässt.

In mein Tagebuch schrieb ich, Zitat: „Lektion des Tages: Tja, gute Frage… Vielleicht: Der Weg ist das Ziel. Die meisten Pilger, mit denen ich gesprochen habe, meinten, dass das Ankommen in Santiago ernüchternd sei und man dann spätestens aber merke, dass eigentlich der Jakobsweg an sich das Prägende ist.“, Zitat Ende.

In den Monaten nach meiner Reise verfasste ich noch einige Einträge in meinem Pilgertagebuch, die widerspiegeln, welch großes Gefühl innerer Ruhe und Frieden die Erfahrungen auf dem Jakobsweg in mir zurückgelassen hatten und wie sehr dies mit meinem Glauben an Gott verbunden war und ist. Ich schrieb Sätze wie „Aber eins ist sicher: mein Glaube ist eines der wenigen Dinge, die mich nie verlassen“ und „Gott gibt mir Glaube, Liebe, Hoffnung und Geborgenheit und ich bin dankbar dafür“ oder „ich spüre, dass mein Glaube ein Schatz für mich ist, wie unser Gott, der keine Unterschiede macht – der Macht, die alles lenkt und richtet und die mir schon so viel Gutes und unglaublich Schönes zuteilwerden lassen hat, dass es mich mit Dank füllt. Und zu dem Vater, der mir dabei helfen könnte, zu verstehen, warum auch herbe Verluste ihren Sinn haben“.

Ob schlimme Verluste, Ungerechtigkeiten und Enttäuschungen, denen wir täglich begegnen tatsächlich einen tieferen Sinn haben, das habe ich bis heute nicht ergründen können. Worin ich mir allerdings sicher bin, ist, dass Glaube und Gottvertrauen für mich Schlimmes deutlich erträglicher machen und dass die Aufgabe einer liebenden Mutter oder eines liebenden Vaters nicht darin besteht, alles Unheil fernzuhalten, sondern viel mehr als „Fels in der Brandung“ in stürmischen Zeiten da zu sein – so, wie Gott für uns da ist.

Ich wünsche Ihnen und euch allen, dass ihr möglichst oft Momente habt, in denen ihr staunen könnt über die kleinen und großen Wunder in eurem Leben und in denen ihr euch getragen fühlt in schweren Zeiten, die sich allzu oft kaum tragbar und erträglich anfühlen. Ich glaube fest daran, dass dies die Momente sind, in denen Gott präsent ist für jede und jeden Einzelnen und dass dies ein großes Geschenk ist.

Also ja, auf meinem Glaubensweg gibt es ein Happy End und das wünsche ich jedem Einzelnen von euch und – gerade in Zeiten wie diesen – allen Menschen dieser Welt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!